Anna Malagrida
Schaufenster

 

November 19, 2011 – February 18, 2012

Anna Malagrida (*1970, Barcelona, lebt in Paris) arbeitet seit 1998 mit den Medien Fotografie und Video. Ihre Arbeiten verweisen oft auf die dialektische Gegensätzlichkeit zwischen Innen und Außen, wobei der Betrachter aufgefordert wird, aktiv zu rezipieren: Die in sich schlüssigen und dabei in höchstem Maße dynamischen Kompositionen sind aufgeladen mit subtilen Andeutungen und offenen Fragen.

In der Serie Schaufenster (2008 und 2009) zeigt Malagrida Auslagen von Pariser Geschäften, fotografiert von der Straße. Die Fenster aber sind geweißt, undurchsichtig durch Reflexionen oder Gegenstände hinter den Scheiben – der Blick des Betrachters wird konsequent blockiert, es ist nicht möglich, durch das Glas hindurchzusehen. Die dadurch geschaffene Darstellungsebene wird zu Malagridas Projektionsfläche für ihre Kompositionen. Die Rahmen der Fenster, ähnlich jenen wie sie für die Fotografien verwendet werden (und damit Kongruenz zwischen dem Blick auf die Fotografie und dem auf das Fenster herstellen), rahmen hier Erzählungen wie in Rue de Charenton von 2008: Der Blick des Betrachters wandert beständig, angeleitet durch wechselnde Strukturen im Weiß und Gegenstände hinter der Scheibe, die unkenntlich sind und zu abstrakten Flächen werden, aufgehalten und zurückgetrieben in die Bildmitte durch den (Fenster-)rahmen, der eben keiner ist, sondern ein Teil der Fotografie. Anna Malagrida testet so die Grenzen des Mediums. Sie findet eine Ebene, auf der scheinbar reale Dinge mit Bildgegenständen verschmelzen und stellt somit die Verbindlichkeit von Realität infrage, welche durch die Vorstellungskraft des Betrachters herausgefordert wird.

Rue Riboutté von 2008 oder Rue de Châteaudun aus demselben Jahr zeigen ebenfalls die Verschmelzung von Ebenen: Von innen wurde (von dritten, denn es handelt sich um gefundene Situationen) in die auf das Glas aufgetragene weiße Farbe gekratzt und geschrieben. Spiegelverkehrte Buchstaben deuten Erzählungen lediglich an, niemals werden solche Erzählungen zu einem erkennbaren Ende geführt. Von außen spiegeln sich Häuserfassaden in den Fensterscheiben: Hier kommt das, was draussen ist, plötzlich in das Bild hinein. Der Betrachter wird mit dem Ungewohnten konfrontiert und die Größe der Bilder, welche in etwa realen Schaufenstern entspricht, trägt zu ihrer Eindringlichkeit bei. Besonders bei Rue Riboutté greifen die verschiedenen Ebenen mit großer Komplexität ineinander: Der Rahmen des Fensters, die Reflexion des Hauses, die weiße Farbe mit den Sgraffiti hinter der Scheibe und schließlich der in dem Innenraum hell erleuchtete Deckenstrahler lösen sich in Fragmente auf, verschmelzen zu einer Komposition und werden dabei gleichzeitig zu separaten Zeichen, die hinweisen auf die verschiedenen Bildebenen. Zudem lässt sich die Reflexion der Hausfassade als Metapher für die Fotografie lesen: Das fotografische Abbilden/Reflektieren der Realität auf Filmmaterial (oder einer lichtempfindlichen digitalen Fläche), ein technischer Prozess, wird hier parallelisiert in der Reflexion auf der Glasscheibe.

Trotz ihrer Präsenz zeugen die Fotografien jedoch nicht nur von Schwere: Ironische Brechung findet statt bei Rue Saint-Charles aus dem Jahr 2009. Das flächig geweißte Schaufenster, welches an ein Gemälde denken lässt, zeigt die Spiegelung eines Verkehrsschildes im rechten oberen Bildrand. “Einfahrt verboten” steht dort, eine doppelte Negation, denn das Weiß verbirgt die Auslage komplett und versperrt somit vollständig den Blick. Der Betrachter aber sieht nicht nichts.

Malagridas Fotografien und Videos sind von poetischer Kraft, in der Gegensätze miteinander verschmelzen und auf einer transzendenten Ebene zusammengeführt werden. Die Interaktion mit dem Betrachter wird somit nicht nur ermöglicht: Sie wird zum integralen Bestandteil von Malagridas Werk.

Anna Malagrida (*1970, Barcelona, lives in Paris) works since 1998 with the media photography and video. Her works often refer to the dialectical opposition of inside and outside. The viewer is asked to participate actively in the process of reception of her pieces: the coherent but also highly dynamic compositions are loaded with subtle allusions and unanswered questions.

In the series Schaufenster (Shop Windows) (2008 and 2009) Malagrida shows displays of Parisian shops, shot from the street. The windows, however, are whitened, obscured by reflections or objects behind the windowpanes. The viewer’s gaze is consequently blocked, it is not possible to look inside the stores. Malagrida has thus created a surface of projection for her compositions on the level of the windowpane. The frames of the windows are more or less congruent with the frames of the photographs and connect the view on the photograph with the view on the window. And they frame narrations as – for instance – in Rue de Charenton of 2008: the gaze of the viewer meanders continuously, guided by changing structures in white and by objects behind the pane, objects that cannot be discerned and that – thus – become abstract areas that block the gaze, which is pushed back to the center by the (window-)frame being – again – part of the photograph. Anna Malagrida tests – thereby – the limits of the media. She finds a level where seemingly real things are melted with objects of the image and is questioning the binding nature of reality, which is challenged by the imagination of the viewer.

Rue Riboutté or Rue de Châteaudun (both 2008) also show the melting of different image levels: inside of the windows the white paint has been scratched away and written-on (by a third party, because these are objets trouvé). Mirror-inverted letters allude to narrations that are never led to an understandable end. Facades of houses across the street are reflected: what is outside suddenly is part of the image. The viewer is confronted with something odd and the size of the photographs that is approximately the size of the shop windows adds to the vigor of the works.

Different and very complex levels of reading can be discerned particularly in Rue Riboutté: the frame of the window, the reflection of a house, the white color with its sgraffitos behind the window pane, and – finally – the spotlights inside the store can be seen as fragments that are creating as such the final composition. On the other side, they are separate signs that refer to the different levels of the image. Finally, the fact that the facade of the house opposite the street is reflected in the window can be read as a metaphor for photography itself: the photographic depiction/reflection of reality on film material (or a light-sensitive digital surface), a technical process, is paralleled in the reflection on the windowpane.

While the photographs show a high degree of presence, they cannot only be defined as “heavy”: there can be seen also a certain irony, for instance in the work Rue Saint-Charles (2009). The shop window that has been whitened all-over – and lets us thus think of a painting – shows the reflection of a traffic sign in the upper right corner. The “no entry”-sign reveals a double negation: neither are the cars allowed to enter the street, nor can the viewer look through the white color inside the shop. He is not – however – seeing nothing.

Malagridas photographs and videos have a poetic power that melts opposite elements and brings them together on a transcendent level. The interaction with the viewer is – thus – not only possible but becomes an integral element of her work.