Nic Hess
Don’t Sorry
September 5 – October 24, 2009
Am Freitag den 4. September 2009 um 18.00 Uhr eröffnen wir unsere zweite Ausstellung des Schweizer Künstlers Nic Hess (*1968, lebt in Los Angeles und Zürich). Nach Einzelausstellungen im Kunstmuseum Winterthur (2002), im Münchener Haus der Kunst (2004), in der venezianischen Fondazione Bevilacqua (2006), im Museo de Zapopan, Guadalajara, Mexico (2007) hat er zuletzt großformatige Wandinstallationen im Hammer Museum in Los Angeles und in Schloß Ringenberg geschaffen.
Hess’ raumgreifende Installation verwandelt die Galerieräume auf allen Ebenen in ein komplexes Zeichengefüge mit Bezug zum heutigen China und den damit verbundenen Klischees. So nimmt Hess eine 13 m lange Reproduktion einer Tuschzeichnung des chinesischen Künstlers Hongkuan Liu (*1938), die das alte, vorrevolutionäre Peking zeigt, und collagiert auf diese Darstellung Klarsichtfolien, die mit von ihm selbst geschossenen Fotografien aus Peking bedruckt sind. Die alte Stadt und die neue Stadt verschmelzen, das alte wird vom neuen verdrängt und die Rücksichtslosigkeit des Neuen findet ihren Spiegel in der Rigorosität, mit der der Künstler die alte Zeichnung überarbeitet. Gleichzeitig entstehen nicht nur inhaltlich, sondern eben auch räumlich verschiedene Ebenen.
Eine weitere Arbeit besteht aus einem Kasten in dem 19 chinesische Mineralwasserflaschen hinterleuchtet sind, die Hess während seines Aufenthalts in der Yunnan-Provinz gesammelt hat. Ihm war die Vielzahl verschiedener Etiketten, folglich auch Marken und Logos, für Mineralwasser, also für ein einfaches Produkt innerhalb nur einer Provinz aufgefallen. Aufschriften wie “Purified Drinking Water”, “Yunnan Top Brand” oder “Fresh Drinking Mineral Water” auf den Etiketten suggerieren globale Lesbarkeit, die in keinem Verhältnis zu der Regionalität des Produktes steht.
Der Rhythmus der Ausstellung – eine lange, schon am Eingang der Galerie einsetzende Linie, die in den Leuchtkasten übergeht und dort ihren ersten Haltepunkt hat – wird fortgesetzt mit einem Relief, das aus zahllosen chinesischen Zigarettenschachteln besteht. Sie sind in Form eines nach unten zeigenden Winkels – Marlboro läßt grüßen – angeordnet und verweisen überdies auf die chinesische Mauer und deren endlosen Treppauf, Treppab. Nationales Kulturgut und chinesische Naturwunder werden inflationär in der Gestaltung der Schachteln verwendet und damit für kommerzielle Zwecke mißbraucht. Für den (nicht-chinesischen) Besucher unserer Ausstellung wird durch die (ästhetische, geradezu minimalistische) Form die kulturelle Differenz zwischen dem Signifikat (was bedeuten die Zeichen auf den Schachteln) und seinem Signifikanten (formale Aspekte der Schachteln) verdeutlicht. Denn wir kennen und verstehen die Signifikanten natürlich nicht.
Hess ist einem breiteren Publikum dadurch bekannt geworden, daß er in seinen Installationen auf Räume eingeht und diese mit seinen sogenannten Wandzeichnungen (zuletzt – wie gesagt – in Los Angeles im Hammer Museum und in Schloß Ringenberg) in neue, fast architektonisch veränderte Gebilde transformiert. Darüber geht er jetzt hinaus, indem er nicht mehr mit Klebband zeichnet (und damit abbildet), sondern Gegenstände mit neuen Inhalten auflädt. Mit diesen skulpturalen Elementen greift er wiederum in die Architektur des Galerieraumes und seinen strukturierenden Elementen ein. So “stützt” sich (visuell) ein durch den Raum stoßender schwarzer Balken auf das Treppengeländer und findet seine Fortsetzung in einem nach oben deutenden Klebestreifen, der die Dynamik des Balkens aufgreift und in einem Rechteck münden läßt.
Dieses Rechteck gehört eigentlich zu dem Basketball-Korb, der allerdings nach rechts verrückt ist und nicht einem Ball als Ziel, sondern einer rot-weiß-blauen Plane als Aufhängung dient. Solche Planen finden sich auf fast jeder Baustelle in China, sie dienen den Wanderarbeitern als Behausung und werden offensichtlich quasi-monopolistisch überall dort vertrieben, wo etwas abzudecken ist. Der Bauboom Chinas, die rasante radikalkapitalistische wirtschaftliche Entwicklung finden hier eine bildliche Metapher, genauso wie sich Mao Tsetung und die Vermarktung seines Mythos’ in einem Zitat eines Warhol-Gemäldes in Form einer Schlafmaske und in einem à la Mao-Bibel (allerdings in blau) gestalteten, leeren Notizbuch finden.
Die räumliche Dynamik der Installation setzt sich in der Plane, die in den unteren Galerieraum fällt, und in den dort hängenden Wimpeln fort. Ursprünglich dienen solche Wimpel in Tibet der Niederschrift von Gebeten und Mantras, sie sollen positive Energien aussenden, ihre Farben symbolisieren Naturelemente. Die (in Tibet) komplex kodierten Zeichen werden von Chinesen abgewandelt in Plastikflaggen und so für Eröffnungen jeglicher Art (z.B. Versicherungsagentur, Autosalon, Restaurant) genutzt, ihre kulturell-religiöse Bedeutung geht verloren. Hess führt eine große Zahl solcher Wimpel so durch den Raum, daß dieser verengt wird und in seiner eigentlichen Form nicht mehr erlebt werden kann.
In einer Wandzeichnung aus vertikalen Strichen in Kohle spielt Hess darauf an, daß eine Volkszählung in China im Zweifel kaum möglich sein wird. Er integriert in diese weitere Referenz an die in China vorherrschende Masse das Logo der chinesischen Telekom-Gesellschaft CHINA UNICOM. Es besteht aus einem tibetischen Zeichen für Unendlichkeit, das von dem Telekomunternehmen usurpiert und für seine Marketingzwecke durch Romantisierung und Stereotypisierung verwendet wird.
We are proud to inaugurate on Friday, September 4th at 6 p.m. the second exhibition of the Swiss artist Nic Hess (born 1968, lives in Los Angeles and Zurich). After having had single shows in the Kunstmuseum Winterthur (2002), in Munich’s Haus der Kunst (2004), in the Bevilacqua Foundation of Venice (2006), in the Museo de Zapopan, Guadalajara, Mexico (2007) he has lately presented large scale installations in the Hammer Museum in Los Angeles and in Ringenberg Chateau, Hamminkeln, Germany.
Hess’ expansive installation transforms the gallery space on all levels into a complex texture of signs that are related to present China and to the clichés resonating with Chinese culture. For example, Hess takes a 13 meter long reproduction of an ink drawing by the Chinese artist Hongkuan Liu (born 1938), a drawing that shows the pre-revolutionary Beijing, and collages on this image transparent foils that show photographs shot by himself in Beijing. The old town and the new town merge, the old is displaced by the ne and the recklessness of the new is mirrored by the rigor with which the artist reworks the drawing. In the same time, not only new content levels, but also formal, that is, spatial levels are developed.
Another work consists of a box in which 19 bottles of Chinese mineral water are illuminated from behind. Hess has collected these bottles during a stay in Yunnan-Province. He had noticed the multiplicity of labels, hence brands and logos, for a simple product like mineral water in just one province. Inscriptions like “Purified Drinking Water”, “Yunnan Top Brand” or “Fresh Drinking Mineral Water” on the labels suggest a global readability that stays in no relation to the regional character of the product.
The rhythm of the exhibition – a long line starting in the entrance area of the gallery, merging with the mineral water lightbox – continues with a relief of countless packs of cigarettes. Arranged in the form of a chevron pointing down – reminding us vaguely of the Marlboro-logo – while relating to the Chinese Wall and its endless ups and downs. Inflated national cultural values and Chinese natural wonders are used and thereby abused for commercial purposes. For the (non-Chinese) visitor of our show, the esthetic, minimal form stresses the cultural difference between the sign (what do the images on the packs mean) and its form (formal aspects of the packs): we do neither know nor understand the signs, naturally.
Hess became known to a larger public by working on spaces in his installations and by transforming them with his so-called wall-drawings (recently – as mentioned above – the Hammer Museum and in Ringenberg Chateau) into new, almost architecturally interfering entities. He transcends this strategy by not only drawing with adhesive tape (and by depicting thereby), but by charging objects with new content. With these sculptural objects, he is again working on the architecture of the gallery space and its structural elements. For instance, he bases (visually) a black beam that is protruding through the space on the handrail of the stairs. The beam and its dynamics are taken up in a black stripe of tape that points upwards and ends in a rectangle of black tape. This rectangle belongs to the basketball basket that is installed to the right. It serves not as a goal for a ball but as a construction to hang a tarpaulin in red, blue and white that is seen on almost all construction sites in China, serving migratory workers as houses, being sold more or less whenever a cover is needed. The building boom in China, and the fast-paced, radical capitalistic economic development find its visual metaphor herein. Comparable to that artistic strategy, Mao Zedong and the marketing of his myth can be found in a citation of a Andy Warhol-painting in the form of a sleeping mask and in an empty pocketbook resembling a Mao-bible (however, in blue).
The spatial dynamic of the installation is continued in the tarpaulin that falls down to the lower level of the gallery and in the pseudo-prayer flags that are installed there. Flags that serve in Tibet for recording prayers and mantra, and that are supposed to emit positive energies and to symbolize nature elements with their colors have been co-opted by the Chinese and changed into plastic triangle flags for commercial purposes. These signs that have complex encodings for Tibetans are used by Chinese for any kind of opening of, for instance insurance agencies, car dealers, or restaurants. Their cultural and religious meaning gets lost. Hess spans a large number of these flags throughout the space and thereby narrows this space considerably. It cannot be experienced like it can in its original form.
In a wall drawing of vertical strokes of charcoal, Hess alludes to the fact that a census of population in China is barely possible. He adds to this additional reference to the masses (high quantities) in China the logo of the Chinese telecom-company CHINA UNICOM. This logo consists of a Tibetan sign for infiniteness, a symbol that has been usurped by the company and utilized for its marketing aims by stereotyping and romanticizing.