Anna Malagrida
Point de Vue
November 24, 2007 – January 19, 2008
Am Freitag den 23. November 2007 um 19 Uhr eröffnen wir die Ausstellung der spanische Fotografin Anna Malagrida. Malagrida studierte in Barcelona und Arles und lebt seit 2004 in Paris. Mit ihren Fotoserien Intérieurs (2000–2006) und Paysages (2006) sowie zahlreichen institutionellen Einzel- und Gruppenausstellungen überwiegend in Spanien und Frankreich erlangte sie erste internationale Bekanntheit. Ein bestimmendes Element Ihrer Arbeiten besteht in dem Verweis auf das seit der Renaissance so bedeutende Paradigma vom Kunstwerk, das wie ein Blick durch ein Fenster funktioniert. Allerdings beschränkt sich Malagrida nicht auf diese kunsthistorische Referenz, sondern lädt ihre Werke mit einer Vielzahl weiterer Bedeutungsfacetten auf. So hebt sie in ihren Fotografien und Videos nicht zuletzt die Fragilität der Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt hervor und spielt mit der Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum.
Wir freuen uns, daß wir Anna Malagrida erstmals in einer Einzelausstellung in Deutschland vorstellen können. In den Werken der Ausstellung, also den Fotografien der Serie Point de Vue (2006) und in dem Video Danza de Mujer (2007) aus der Werkgruppe der Vistas Veladas, greift Malagrida erneut das Fenster als Motiv ihrer Arbeiten auf und verweist überdies über das Element der Verschleierung des Blickes auf sozialpolitische Aspekte.
So ist beispielsweise der Ort der Fotografien ein zum Abriß bestimmter französischer Club Mediteranée in dem spanischen Naturschutzgebiet Cap de Creus. Die Serie zeigt die Fenster des leerstehenden Gebäudes von innen. Diese sind mit einem feinen weißen Pulver, dem sogenannten “Blanco España” bemalt, damit niemand hereinschaut und etwa auf die Idee kommt, Interieur zu stehlen oder sich in dem Gebäude niederzulassen. Mit der Zeit durch Wind und Wetter verändert, legen sich die Schichten des Blanco España wie hauchdünne Dunstschleier über die Fenster und obstruieren den Blick des Betrachters auf die dahinter liegende Küste des Naturschutzgebietes. In manchen Bildern erinnert die pastose Struktur der scheinbar wahllosen, rudimentären Pinselstriche der Fenstermaler an abstrakt expressionistische Werke, an Action Painting. Die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie scheinen zu verschwimmen und ineinander überzugehen. Dies wird auch an anderen formalen Elementen sichtbar. So dienen die Rahmen der Fenster durch den Ausschnitt der Fotografie auch als Rahmung der “Gemälde” des Blanco España.
In einigen Bildern greift die Fotografin selbst aktiv in das, was wir wahrnehmen, ein. Denn sie verändert die weißen Schichten manuell und gewährt uns somit vage Ausblicke auf den Ozean. Indem sie mit der Opazität und Transparenz der abgebildeten Oberfläche spielt, verweist sie zugleich auf die Dualität unseres Blickes: Der Betrachter nimmt wahr, daß hinter dem blinden Fenster auf das er schaut mehr ist, eine Landschaft, deren Anblick durch das Fenster hindurch ihm jedoch überwiegend verwehrt wird. Ihm bleibt nur die Imagination, die Erinnerung an andere Landschaften, um sein subjektives Bild zu vervollständigen. Der Blick selbst wird somit einerseits durch das blinde Fenster negiert, andererseits jedoch über den Rekurs zu der eigenen Imagination personalisiert. Auch der Titel der Arbeit reflektiert diese Dualität, enthält doch der französische Ausdruck “point de vue” ein in die deutsche Sprache kaum übersetzbares Wortspiel. Denn gemeint ist einerseits die subjektive Ansicht, der Standpunkt, und andererseits der Aussichtspunkt. Die Verbindung von subjektiver Meinung und Aussichtspunkt wird auch deutlich, wenn man sich die Geschichte des Ortes vor Augen führt.
Denn der Ferienklub war französischer Besitz, stand jedoch auf spanischem Territorium, bis die spanische Regierung die Region kurzerhand zum Nationalpark erklärte, die früheren Eigentümer des Gebäudes enteignete und es nun abreißen läßt. Die Landschaft wird somit zum politischen Raum und das Bild selbst wird zu einer Konstruktion, die weit über eine bloß dokumentarische Abbildung hinausgeht. Schließlich: In manchen Fotografien von Point de Vue haben vorbeigehende Besucher Zeichnungen und geschriebene Wörter hinterlassen. Sie wecken die Neugier des Betrachters, der versucht die Zeichen zu entziffern. Das Bild wird damit letztlich auch noch zu einem Text, der auf scheinbar herkömmliche Art und Weise dechiffriert werden kann.
Die vielfältige Bedeutung der Fotografien aus Malagridas Serie Point de Vue – Fotografie als Paraphrase auf die Malerei, als Abbild einer Landschaft, als Zitat der Kunsttheorie vieler Jahrhunderte und als Text – kann metaphorisch mit dem Begriff des Palimpsest umschrieben werden; es ist dies eine Bedeutung, die sich nicht auf einen Nenner bringen läßt, sondern vielmehr eine Vielzahl an Möglichkeiten gleichzeitig zuläßt.
Eine vergleichbare Mehrschichtigkeit möglicher Bedeutungen bietet auch Anna Malagridas Videoinstallation Danza de Mujer aus der Werkgruppe der Vistas Veladas. Oberflächlich beschrieben beschreitet der Betrachter der Installation einen dunklen Gang und gelangt – durch die Wegführung leicht desorientiert – zu der Videoprojektion. Sie zeigt in einer einzigen Einstellung ein Fenster in einem überaus simplen Raum in der Wüste. Der Raum ist mit lauten Windgeräuschen erfüllt. Vor dem Fenster tanzt ein Vorhang im Wind. Solange dieser Vorhang sichtbar ist, weil er nicht aus dem Blickfeld (der unbewegten Kamera) geweht wird, ist erkennbar, daß das Fenster vergittert ist. Hebt er sich jedoch, verschwindet das Gitter, und nur ein leuchtendes Viereck Himmel bleibt sichtbar. Dieses Paradoxon erklärt sich durch die optische Einstellung der Kamera, die präzise Bilder nur bei einer ganz konkreten Lichtstärke liefert: erst wenn der Raum etwas abgedunkelt ist, weil der Vorhang das von draußen in den Raum dringende Licht absorbiert, kann das, was gefilmt wird und was die Raumgrenzen definiert – das Gitter – überhaupt sichtbar werden. Der Schleier, der im Grunde etwas ab-, bzw. verdeckendes hat, läßt also die Details des Raumes erst wahrnehmbar werden. Und umgekehrt ist das Bild ohne den verdeckenden Schleier überbelichtet. In ihrer im Jemen entstandenen Arbeit Danza de Mujer beschränkt sich Malagrida allerdings nicht auf das bloße optische Spiel mit Licht und Schatten, mit der mechanischen Wahrnehmung durch das Kameraauge. Denn zugleich fragt sie, die Künstlerin, nach der Rolle der Frau in einer Gesellschaft wie derjenigen des Jemen. Die Frau wird in dieser Gesellschaft traditionell dem Haus, der häuslichen Sphäre zugeordnet, der Film zeigt damit auch eine kritikwürdige Situation des weiblichen Geschlechts. Überdies sind – während die Filmaufnahme selbst durch den Schleier erst sichtbar wird – die Frauen durch die ihnen in dieser Gesellschaft verordnete Burka, ihren Schleier unsichtbar. Der Schleier des wehenden Vorhangs funktioniert, so kann der Film gelesen werden, auch als Statement gegen die Verschleierung der Frauen, die vielmehr durch den Schleier der Vergitterung ihres eigenen Lebens erst gewahr werden können.
The Spanish photographer Anna Malagrida studied in Barcelona and Arles before moving to Paris, where she has been living since 2004. With her photo series Intérieurs (2000–2006) and Paysages (2006), as well as through various individual and group exhibitions, she has begun to gain international recognition and acclaim. A defining element of her work alludes to the prominent motive seen in artwork dating back to the Renaissance that reveals a scene as it is viewed through a window. However Malagrida doesn’t limit herself only to this reference to art history; her multifaceted work is charged with meaning from a variety of sources. Her videos and photography emphasize the fragility of the relationship between the individual and her environment and play with the boundary between public and private space.
We are very excited to have the opportunity to present Anna Malagrida in her first solo exhibition in Germany. In the works which will be exhibited – the series of photographs, Point de Vue (2007), and the video, Danza de Mujer (2007), from the series Vistas Veladas – Malagrida again takes up the motif of the window in her work, this time as an element capable of obscuring certain sociopolitical realities from view.
Such is the case in the location in the Spanish natural reserve, Cap de Creus, where the French Club Mediteranée is set to be demolished. The series shows the windows of the abandoned building from within. The windows have been painted with a fine, white powder, so called “Blanco España”, to prohibit anyone from seeing in and possibly coming up with the idea of trying to abscond with something or using the building as a temporary residence. In time however, through the effects of wind and weather, the layers of Blanco España have been worn paper-thin and have resolved themselves to a gauzy veil barely capable of obscuring from view the coast of the nature preserve just beyond the windows. In some cases, the meandering structure of the rudimentary brushstrokes of the window painter are reminiscent of the works of abstract expressionism, an action painting. The boundaries between painting and photography seem to blend and flow into one another. This is also evident in other formal elements. The window frames, in the context of the photographs, serve as picture frames for the “paintings” of Blanco España.
In some of the photographs, Malagrida asserts herself more directly into the content of what we perceive by manually altering the layers of the white coating to afford us a vague view of the ocean behind. By manipulating the opacity and transparency of this overlaying surface, she emphasizes the duality of our own perceptions: The observer perceives that there is more behind the window she is looking at – a landscape — without being actually able to see it. The subjective completion of the photo relies on the substitution of memories of other landscapes and the imagination of the viewer. Thus the image itself is on the one hand negated by the effect of the window, but on the other hand this negation causes the viewer to form a more personal relationship to the work. Even its title reflects this duality through its play on words. Point de Vue – on one hand, the point of view someone has, their subjective outlook, their perspective of things, and on the other, the literal point of view, the place from which something is seen, one’s viewpoint. This connection between subjective meaning and the perspective something is seen from becomes even clearer in consideration of the history of the location. The vacation club was a French property which stood on Spanish territory until the Spanish government abruptly declared the region a national park, ousted the owners of the buildings and went forward with demolition proceedings. As the landscape was thereby transformed into a political space, so too must the photographs of it be seen as playing more than simply a documentary role. Finally, there are the left behind drawings and written words of passerby that appear in many of the photographs in Point de Vue. They peek the curiosity of the viewer, who must attempt to decode the meaning of the messages. With that the photos can finally be seen also as texts, to be deciphered in this, yet other manner. The varied meaning of the photography of Malagrida’s Point de Vue series – photography as notation for painting, as a mapping of a landscape, as a citation for the theories of art from many centuries, and as a text – can be metaphorically summed up with the concept of a palimpsest; a representation that cannot be reduced to a single meaning, one which allows many possibilities to exist simultaneously.
Similarly, Anna Malagrida’s video-installation, Danza de Mujer, offers multiple layers of meaning and interpretation. Here led along a slightly disorienting path, the viewer enters the installation and reaches the projection. A window is shown alone in a simple room somewhere in a desert from an un-shifting perspective. The room is filled with the loud sounds of a strong wind. A curtain in front of the window dances in this wind. As long as the curtain is visible, remaining within the frame of the motionless camera, it can be seen that the window possesses a screen. However as soon as the curtain disappears from the frame, the screen is rendered invisible and all that is left to be seen is the bright square of sky beyond the window. This paradox can be explained by the optical settings of the camera, which allow for a sharp image only under certain lighting conditions: only when the room is slightly dim through the absorption of light by the curtain is the window screen – which defines the boundaries of the room – visible. The curtain, that which is meant to conceal, allows in this case the details of the room to be revealed. The image, without the dimming effect of the curtain, is overexposed. The meaning of Malagrida’s work – this produced in Jordan – isn’t however limited to the optical play of light and shadow through the mechanical perception of the camera’s aperture. Here she is also questioning the role of women in a society like the one found in Jordan. In this type of society, the woman is traditionally resigned to the sphere of the home, and therefore the film points to the distressing situation of the female sex. Moreover – while the shooting of the film is first visible because of the screen – the women of Jordan because of the burke that their society enforces upon them – their personal screen – remain invisible. The veil of the wafting curtain can be read then to function as a statement against the concealment of women, who could be much more awakened to the veil of their own lives.
Taken together, the photography and film of Anna Malagrida, her views through the window, can be seen as intermediaries between particular dualities. Here the outer- and inner-space of the viewer, as well as that of the building, are set in relation to one another, blurring the boundaries between nature and culture, painting and photography, and even past and present.