Jose Dávila
Nowhere Can Be Now Here


June 10 – August 27, 2011

Wir freuen uns, am 9. Juni 2011 um 19.00 Uhr die erste Einzelausstellung des mexikanischen Künstlers Jose Dávila (*1974, Guadalajara) in Deutschland zu eröffnen.

Mit dem Ausstellungstitel Nowhere Can Be Now Here zitiert Dávila einen Satz von Gordon Matta-Clark. Das Nirgendwo kann jetzt hier sein, es kann sich aber auch – logische Schlußfolgerung – woanders befinden.

Mit seinen Arbeiten, die man auch unter das Motto Modernism and Minimalism revisited stellen könnte, unternimmt Dávila Untersuchungen der Essentialia seiner Vorbilder. Donald Judds sogenannte Stack Pieces, Joseph Albers Homages to the Square, Buckminster Fullers geodätische Kuppeln und Lygia Clarks Struturas de Caixa de Fósforos (Streichholzschachtelstrukturen) sind dabei seine Arbeitsmaterialien. An ihnen arbeitet er sich ab, sie werden transformiert, reduziert, re-interpretiert. Für Dávila sind sie Ausgangs- und Endpunkt seiner Recherchen auf dem Feld der abstrakten Skulptur, Installation oder Architektur. Er kopiert nicht, sondern er diskursiviert indem er wiederholt. Anders als etwa bei Elaine Sturtevant sind diese Wiederholungen unmittelbar als solche erkennbar, sie sind nicht getarnt, es geht nicht um die direkte Kopie und die damit verbundene Verdeutlichung von Kunstmarktstrategien und Geniekult etc., sondern – wenn man so will – um eine kritische, im Sinne von analytische und unmittelbar durchschaubare Appropriation.

Bei näherer Untersuchung beispielsweise der größten Skulptur aus unserer Ausstellung, Imbalance of Perfection, wird klar, daß der als Architekt ausgebildete und durch moderne Architektur geprägte Künstler nicht wirklich an perfekten, ausgewogenen und im besten Sinne sparsamen, reduzierten Architekturformen interessiert ist, sondern an der Infragestellung solcher Konzepte, wie sie unter anderem von Buckminster Fuller vor allem theoretisch, gelegentlich auch praktisch umgesetzt wurden: Dávila schafft keine geodätische Kuppel, die in ihrer Reduktion gewissermaßen als die Rückkehr zur perfekten Urhütte und somit als Inkarnation moderner, reduzierter Architektur angesehen werden kann, sondern er schafft genau das Gegenteil, eine “unausgewogene” Perfektion, etwas, das widersprüchlich ist und damit auch die ganze Widersprüchlichkeit der Moderne und ihrer Vorstellung von der Erreichung eines abschließenden Zieles auf den Punkt bringt, ohne über sie zu höhnen. Das kann als kritische Hommage verstanden werden.

Gleiches gilt natürlich für die Installationen aus Glasplatten vor Farbquadraten, die sich auf die Homage to the Square-Gemälde von Joseph Albers beziehen. Albers verblieb mit seinen in der Regel mit dem Spachtelmesser in Öl auf Sperrholz geschaffenen Werken grundsätzlich im traditionellen Genre der Malerei, die er allerdings auf Untersuchungen von Farb- und Größenkonstellationen mit Quadraten reduzierte. Dávila greift das auf, nimmt aber die räumliche Wirkung der Farbquadrate von Albers ernst und geht mit seinen Glasplatten, die vor einem mit der Rolle völlig ohne Struktur gemalten Farbquadrat auf der Wand installiert werden, in den Raum, in die Dreidimensionalität. Auch hier handelt er nicht als schlichter Kopist und auch nicht als jemand, der in der Appropriation selbst die kritische Analyse der Arbeiten sieht, sondern er greift Potentiale auf, die – in diesem Fall – Albers noch verschlossen geblieben waren. Die simple Filterung des Lichts durch die Glasscheiben führt zu unterschiedlichen Farbtönen.

Donald Judds oben erwähnte Skulpturen Untitled, die sogenannten Stack Pieces funktionieren – bei Judd – als architektonische Elemente im Raum, die den Raum gliedern. Mit ihnen hatte Judd auch Werke geschaffen, die die in den 60iger Jahren populäre Gestalttheorie nachvollziehbar werden ließen. Ferner waren es Arbeiten, die in ihrer Reduziertheit die von Frank Stella geprägte, von der Rezeption aber auf fast alle Kunstwerke, die der Minimal Art zugeordnet wurden, angewandte Vorstellung von “What you see is what you see” verkörperten. Mehr als das, was man zu sehen bekam, hatte der Betrachter von der Kunst nicht zu erwarten. Kein narrativer, kein mystischer, kein politischer Inhalt irgendwelcher Art sollte Teil des Kunstwerkes sein. Mit der Bezugnahme auf diese Skulptur (durch eine Kopie in Pappe) und damit auf diesen berühmten Satz, macht Dávila die Problematik des minimalistischen Anspruches deutlich. Unpolitisch waren die Arbeiten nicht, sie waren vielmehr zu Recht als Inkarnation der industrialisierten, rationalisierten US-amerikanischen Gesellschaft gelesen worden. Und Dávila zeigt uns das, in dem er die normalerweise in edlen, wenngleich industriellen Materialien geschaffenen Arbeiten von Judd, die gerade durch ihre Makellosigkeit und den damit verbundenen Glanz wirken, mit billigster Pappe nachbaut und kontrastiert. Die Pappe ist bekanntlich oft Baustoff für Schutzhütten in ärmsten Situationen. Auch hier also kann man eine kritische Analyse sehen und zwar nicht nur der Kunstgeschichte, sondern auch des Verhältnisses zwischen den Möglichkeiten der “ersten Welt” zu den Lösungen, zu denen die “dritten Welt” aus Not gezwungen ist.

Die vielleicht freundlichste Hommage in unserer Ausstellung schafft Dávila mit seiner Skulptur Giant Beetle, die sich auf die Streichholzschachtelstrukturen der Brasilianerin Lygia Clark und – wohl auch – auf die architektonischen Ensembles von Hélio Oiticica beziehen. Clark hatte mit Streichholzschachteln kleine Skulpturen geschaffen, die als Modelle für neue Architekturen gelesen werden konnten. Und Oiticica hatte solche Architekturen mit der Installation einfacher Holzplatten im Raum – teils schwebend – tatsächlich geschaffen und das Genre der Skulptur damit in den begehbaren Raum erweitert. Dávilas Giant Beetle ist nun eine gigantische Vergrößerung der Struturas de Caixa de Fósforos und damit auch eine Reverenz an Oiticica und dessen sich in den Raum ausdehnenden abstrakten Skulpturen. Indem Dávila die Einfachheit der skulpturalen Objekte Clarks umdreht und eine gut gebaute Skulptur, die allerdings die Eigenschaften der Streichholzschachteln – von zwei Seiten zu öffnen zu sein – aufgreift, baut, schafft er eine Plastik aus vielfältigen Formen und Bewegungen mit betont neo-konkretem Gestus.

Nowhere Can Be Now Here – klare Aussagen, so könnte nach Dávila dieser Satz zu verstehen sein, sind in der Moderne und im Minimalismus nicht oder nur scheinbar zu finden.

We are proud to inaugurate on June 9, 2011 at 7 pm the first solo exhibition of the Mexican artist Jose Dávila (*1974, Guadalajara) in Germany.

The exhibition’s title Nowhere Can Be Now Here is a citation of a sentence by Gordon Matta-Clark. From the statement that nowhere can be now here follows the logical implication that it can be also somewhere else.

With his works that can be subsumed under the motto Modernism and Minimalism revisited Dávila undertakes researches into the essentials of his models. Donald Judd’s so-called Stack Pieces, Joseph Alber’s Homages to the Square, Buckminster Fuller’s geodesic spheres and Lygia Clark’s Struturas de Caixa de Fósforos (matchbox structures) are his work material in this research. He is working on, transforming, reducing, and re-interpreting them. For Dávila, these models are the point of origin as well as the endpoint of his research in the field of abstract sculpture, installation or architecture. He is not just copying them, but he is, by repeating them, opening up a discourse on them. Differing from Elaine Sturtevant’s artistic strategies, these repetitions are immediately recognizable as such, they are not disguised. Dávila is not interested in the direct copy and the highlighting of the strategies of the art market and the cult of the genius, but he is – if you want so – interested in a critical, in the sense of analytical and understandable Appropriation.

If one examines the largest sculpture of our exhibition, Imbalance of Perfection, it becomes clear that the artist – who was trained as an architect and who has a close relation to Modern Architecture – is not really interested in perfect, equilibrated and – in the best sense of the word – economically reduced architectural forms but more in the questioning of such concepts. These concepts have been turned into being (mainly theoretically, some times also practically) by – amongst others – architects like Buckminster Fuller: but Dávila is not creating geodesic spheres that can be understood in their reduction as the return to the perfect tugurium (primeval hut) and thereby to the incarnation of the modernist, reduced architecture, but he is, without scoffing at such a concept, creating the contrary: an imbalanced perfection, something that is contradictory in itself and that also reveals the contradictions of Modernist Architecture and its idea of reaching the final goal. This can be very well understood as a critical homage.

The same is true for the installations of plates of glass in front of colored squares that relate to the Homage to the Square-paintings by Joseph Albers. With his paintings, generally done in oil on masonite with a palette knife, Albers stuck to the traditional genre of painting. However, with his squares he reduced it to researches of color- and size-constellations. Dávila seizes on this, but he takes the spatial effect in Albers’ paintings and goes into the third dimension with his plates of glass that are installed in front of a painted square that does not show any trait of painterly structure. Again, he is not working as a simple copyist and also not as somebody who sees in the appropriation alone the critical analysis of the works, but he takes up potentials that have been – in this case for Albers – hidden to his precursors. Simple filtration of light through glass becomes the agent that creates diverse tonalities in the color.

Donald Judd’s sculptures Untitled, the so-called Stack Pieces mentioned above, function as architectural elements in the space, elements that bring a certain order to a space. But they also made plausible theses from the Gestalttheorie that was very popular in the sixties. Besides that, these works can be considered an incarnation of the total reduction to “What you see is what you see”, a sentence that was once coined by Frank Stella when he was talking about his paintings, but that was also considered valid for Minimal Art in general by the critics of the time. More than what one was basically seeing as a viewer of a piece could not be expected from the art: No narration, no mystic, no political content whatsoever was supposed to be part of the Minimal art object. With his cardboard copy of the Judd-sculptures and by referring to Stella’s famous sentence Dávila is underlining the problems of this minimalist pretension. Minimal Art was not apolitical, it has been – on the contrary – understood as the perfect artwork for the industrialized, rational US-American society. And Dávila is proving this thesis by repeating and contrasting Judd’s sculptures (that were normally executed in shiny and slick, but also simple, industrial materials) with cheap cardboard, a very common resource for shelter in misery situations. Again, this has to be considered a critical analysis not only of art history but also of the relation of “first” world resources versus “third” world solutions created by need.

Amongst the artworks that we show in our exhibition, Dávila created probably the least critical homage to earlier artworks with his sculpture Giant Beetle. This work refers to the so-called matchbox structures by the Brazilian Lygia Clark and – probably also – to the architectural ensembles by Hélio Oiticica. Clark had created with matchboxes small sculptures that could be read as new architectures. And Oiticica had created such architectures by installing simple wooden plates – sometimes floating – in spaces and he had enlarged the genre of sculpture to a walk-in space. Dávila’s Giant Beetle is a gigantic enlargement of the Struturas de Caixa de Fósforos and – thereby – also a reverence to Oiticica and his abstract sculptures that were taking over the space. By reversing the simplicity of Clark’s objects into a well built sculpture that explores the characteristics of a matchbox to be opened by two sides, Davila creates a sculpture of multiple forms and movements, high-lighting a neo-concrete gesture.

Nowhere Can Be Now Here – clear statements (this is how the sentence could be understood if one follows Dávila and his exhibition), are not or only seemingly to be found in Modern Art and Minimalism.