Yelena Popova
Landscapes of Power
March 13 – June 20, 2020
Wir freuen uns, zum vierten Mal in unserer Galerie eine Einzelausstellung von Yelena Popova (*1978 in der UdSSR, lebt und arbeitet in Nottingham, Großbritannien) zu zeigen.
Mit Landscapes of Power (der Titel bezieht sich auf das 1958 erschienene Buch Landscape of Power von Sylvia Crowe) kehrt Yelena Popova in gewisser Weise zu ihrem Ursprung zurück. Denn sie gibt mit ihrem künstlerischen Forschungsprojekt, das sie in Medien wie Malerei, Installation und Tapisserie umsetzt, ihrer anhaltenden Faszination für die Geschichte und Materialität der Atomenergie Ausdruck. So zeigte sie schon in ihrer erster Ausstellung in unserer Galerie, Unnamed, Werke, die sie während ihres Masterstudiums am Royal College of Art in London entwickelt hatte; darunter zwei Künstler-Dokumentarvideos, die sich mit der Geschichte einer Atomkatastrophe (1957) in Ozyorsk (UdSSR) befassen, ihrer Heimatstadt, einer geheimen, geschlossenen Stadt, der Geburtsstadt des sowjetischen Atomwaffenprogramms.
Während die beiden anderen bisherigen Ausstellungen bei uns dem Thema „Zeit“ in Bezug auf den Kapitalismus, bzw. die Produktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen gewidmet waren, greift Popova jetzt mit Landscapes of Power das Thema Atomkraft wieder auf. Der Ausstellungstitel spielt mit seiner doppelten Bedeutung nicht nur auf die Machtsysteme (Unternehmen, Regierungen) an, die hinter der Energieproduktion im Allgemeinen stehen, sondern auch auf die Energieproduktion selbst. Im vergangenen Jahr hat Popova – im Rahmen einer selbst gestellten Recherche-Aufgabe – stillgelegte Atomkraftwerke in Großbritannien bereist. Sie besuchte sieben Magnox-Reaktoren der ersten Generation und lernte, dass sie derzeit nicht abgebaut werden können und bis mindestens zum Ende des Jahrhunderts an der britischen Küste erhalten werden müssen. Die Reaktoren werden somit selbst gewissermaßen zu einer Deponie verseuchter Abfälle und verweisen schließlich auch darauf, wie problematisch die Entscheidungen für Kernenergie und ihre immerwährenden Auswirkungen auf unsere Natur und Gesellschaft waren (die Halbwertszeit der kontaminierten Graphit-Kerne in den Reaktoren beträgt etwa 5.000 Jahre). Bei diesen Exkursionen sammelte Popova im unmittelbaren Umkreis der Reaktoren Erde und Steine. Mit ihrer Ausstellung versucht sie, die engen Verbindungen zwischen der Atomindustrie und ihren unsichtbaren Auswirkungen auf unsere Landschaften im Laufe der Zeit greifbar zu machen. Während Popova also in ihren früheren Ausstellungen den Verlauf der Zeit und ihren wirtschaftlichen Wert, die Zeitlichkeit selbst der Malerei (zum Beispiel mit ihrer Serie der Evaporating Paintings) und die zirkulären Bewegungen der Finanzwelt in den fünfziger Jahren untersuchte, weist sie nun auf die sogenannte „Tiefenzeit“ (geologische Zeit) in unserer Ära des Anthropozäns hin.
Die zentrale Installation unserer Ausstellung, The Scholar Stones Display, besteht aus sogenannten „Gelehrtensteinen“ auf Sockeln, die in einen aus Paneelen zusammengesetzten Boden eingesetzt sind. Diese Paneele stellen das geometrische Design eines Graphitkerns eines Kernreaktors dar. Zusammen mit den drei umgebenden Jaquard-gewebten-Tapisserien dient das gesamte Ensemble als metaphorisches „Denk-mal“ / memento für die von Popova besuchten Kernreaktoren und dafür, wie sie als etwas zu verstehen sind, das in enger Beziehung zu seinem Raum, seiner Geologie, Landschaft, Zeit und Industriegeschichte existiert.
The Scholar Stones Display präsentiert in der Tat das, was man zeitgenössische Versionen von Gelehrtensteinen nennen kann: Ursprünglich waren dies in der Natur vorkommende oder geformte Steine, die einer Reihe von ästhetischen Prinzipien folgten, welche in der chinesischen Tang-Dynastie (618-907 n. Chr.) definiert wurden. Die Steine wurden als Objekte der Kontemplation ausgestellt und bewundert. Popovas Sammlung repräsentiert nun verschiedene geologische Gebiete Großbritanniens sowie die unterschiedliche geologische Zeit der Gesteine. Diese Gelehrtensteine auf ihren hölzernen Sockeln (die – als Kunstwerk – überdies als eine frühe Auseinandersetzung des Menschen mit der Abstraktion angesehen werden können) zeigt sie uns als Objekte der Kontemplation genauso wie als Dokumente (oder Souvenirs?) ihrer Reisen.
Die beiden Wandteppiche mit dem Titel Keepsafe (I und II) sind als künstlerische Entwürfe für Mausoleen für die stillgelegten Reaktoren gedacht – Mausoleen, die wir aus Tschernobyl kennen, dem berühmt-berüchtigten russischen Standort eines explodierten Atomkraftwerks, bzw. aus Fukushima kennen werden, wenn ihr Bau dort abgeschlossen ist. Sie zeigen in sehr abstrakter Weise den Graphitkern des Reaktors und das darüber gebaute Mausoleum, umgeben von der Landschaft am Meer, wo sich die meisten Reaktoren in Großbritannien befinden. Während diese Tapisserien uns dazu anregen können, über die Geschichte der Kernenergie und der Atomwaffen nachzudenken, ist der dritte Wandteppich, Ripple-Marked Radiance (after Hertha Ayrton), eine Hommage an die erste weibliche Mitarbeiterin der Institution of Electrical Engineers, Hertha Ayrton (1854-1923), die sehr früh zur Produktion elektrischer Energie forschte.
Mit Farbmaterial aus den an den Standorten der Reaktoren gesammelten Erdmaterialien (wie auch mit Holzasche), malte Popova eine Gruppe von Gemälden. Und zwar unter Einsatz ihrer eleganten, modernistischen Formen, die sie auch in früheren Installationen von Gemälden verwendet hatte. Mit den aus den Böden gewonnenen Pigmenten erscheinen diese Formen nun in erdhaften Farben (die je nach der Landschaft, der die Böden entnommen wurden, von gräulichen bis rötlichen Tönen wechseln) und verbinden so – einerseits – die Leinwände mit den Landschaften, ihrer geologischen Zusammensetzung und ihrer Geschichte sowie – andererseits – mit der modernen, utopischen, formalistischen, konstruktivistischen Geschichte der Vorbilder für ihre eigene Malerei, namentlich Ljubow Popova, Natalia Gontscharowa oder Alexandra Exter, um nur einige zu nennen. Während die utopische Idee einer uneingeschränkt verfügbaren Energiemenge sicherlich Teil der modernistischen Geschichte der Gegenwart dieser Künstlerinnen war, spielen die organischen, gemalten Formen auch auf die unsichtbare Radioaktivität an, die an den Orten der stillgelegten Reaktoren immer noch aktiv ist.
Um es zusammenzufassen: Popova läßt mit ihrem Projekt, den gesammelten Steinen und der sinnlichen (haptischen) Qualität der Bilder, Atomindustrie greifbar werden.
Popova studierte erst an der Moskauer Kunst- und Theaterschule (MHAT), bevor sie 2011 ihren MA-Abschluss in Malerei am Royal College of Art machte. Zu ihren jüngsten Einzelausstellungen gehören: Her Name is Prometheus, L’étrangère, London; Townlets, The Art House, Wakefield (2018), Elements, Girton College, University of Cambridge; This Certifies That, Philipp von Rosen Galerie (2017), After Image, Nottingham Contemporary (2016) und Unsensed, Hatton Gallery, Newcastle (2015).
Ihre Arbeiten finden sich u.a. in den folgenden Sammlungen: British Arts Council, Government Art Collection, Nottingham Castle Collection, RCA Collection, Saatchi Collection, Zabludowicz Collection und im LWL-Museum, Münster.
It is a great pleasure to be able to show and open to the public for the fourth time in our gallery a solo exhibition by Yelena Popova (*1978 in USSR, lives and works in Nottingham, UK).
With her exhibition Landscapes of Power (the title references a book by Sylvia Crowe, Landscape of Power, published in 1958) Yelena Popova in a way returns to her beginnings. Working across a range of media including painting, installation and tapestry, Popova’s research project addresses an ongoing fascination of the nuclear history and materiality. Her first show in our gallery Unnamed presented works which were researched and developed during her MA at Royal College of Art in London; amongst these works were two artist-documentary videos which dealt with the history of a nuclear disaster (1957) that had taken place in Ozyorsk, USSR, Popova’s home town, a secret closed city, which was the birthplace of the Soviet nuclear-weapons program.
While her two other previous exhibitions at the gallery were dedicated to the topic of time in relation to capitalism, the production and distribution of goods and services, Popova now again picks up the nuclear subject with Landscapes of Power. The title, that has a double-meaning, not only alludes to the systems of power (companies, governments) that stand behind the production of energy in general but also to the production of energy itself. Over the last year Popova has been visiting decommissioned nuclear sites around the UK as part of a self-appointed enquiry. She visited seven Magnox-reactors of the first generation to discover that they currently cannot be dismantled and will have to remain on the British coastline until at least the end of the century, thus becoming themselves a pile of contaminated waste, and also a monument to the problematic decisions towards nuclear energy and its everlasting impact on our nature and societies (the half life of the contaminated graphite is about 5,000 years). And she walked the surrounding landscapes and gathered soil and stones. With this exhibition Popova attempts to make tangible the close links between the nuclear industry, and its invisible impact on our landscapes through the passage of time. While in her earlier shows Popova explored the passage of time and its economic value, painting’s temporality (her Evaporating Paintings series) and the infinite circular movements of the financial world, she is now pointing towards the deep-time (geological time) in our age of the anthropocene.
The central installation of our show, The Scholar Stones Display, consists of pedestals with scholar stones. The pedestals are slotted into the panel floor, representing the geometric design of a graphite core of a nuclear reactor. Together with the three surrounding Jaquard-woven tapestries, the whole ensemble serves as a metaphorical monument to the nuclear reactors Popova visited – and how they need to be understood as entities that exist in close correlation to their space, geology, landscape, the time in which they last, and their industrial history.
The Scholar Stone Display in fact presents what one can call the contemporary version of a “scholar stone”: Originally, a scholar stone was a naturally occurring or shaped rock that adheres to a set of esthetic principles defined in Tang dynasty China (618-907 AD), which would be displayed and admired as objects of contemplation. Popova’s collection represents different geological areas of the UK, as well as the different geological time of the rocks. The scholar stones (which as an art form represent an early human engagement with abstraction) have been placed on their wooden pedestals as objects of contemplation as well as documents (or souvenirs?) from Popova’s journeys.
The two tapestries titled Keepsafe (I and II) are meant as artistic propositions for mausoleums for the decommissioned reactors – mausoleums we already know from Chernobyl, the infamous Russian site of a collapsed nuclear plant, and which we will know from Fukushima, once their construction has been finalized. They show, in a very abstract way, the graphite core of the reactor, and the propositional mausoleum built above it, surrounded by the seascape where most of the reactors in the UK are located. While they might stimulate us to ponder the history of nuclear energy as well as of nuclear weapons, the third tapestry, Ripple-Marked Radiance (after Hertha Ayrton), is an homage to the first female member of the Institution of Electrical Engineers, Hertha Ayrton (1854-1923), who studied electric current at the very beginning of electricity production.
With color material based on the soils collected at the sites of the reactors (as well as with wood-ash) Popova painted a group of canvases, employing her elegant, curvy modernist forms that she used also in earlier installations of paintings. Now, with the pigments gained from the soils, these forms appear in earthly colors (shifting from greyish to reddish tones, depending on the landscape the soils were taken from). The canvases thus connect to the landscapes, their geological composition, and their history as well as to the modern, utopian, formalist, constructivist history of the ancestors of Popova’s own painting, namely Lyubov Popova, Natalia Gontscharova or Alexandra Exter, to name just a few. While the utopian idea of an unrestricted amount of available energy certainly was part of the modernist history these artists belonged to, the organic, painted forms also allude to the radioactivity that still is active at the sites of the derelict reactors.
To summarize: with her project and through the mass of the collected rocks, and the sensual (tactile) quality of paintings Popova makes nuclear industry tangible.
Yelena Popova (born in USSR) lives and works in Nottingham, where she has a studio at Primary. She studied at Moscow Art Theatre School (MHAT) before graduating from MA Painting at the Royal College of Art in 2011. Recent solo exhibitions include: Her Name is Prometheus, L’étrangère, London; Townlets, The Art House, Wakefield (2018), Elements, Girton College, University of Cambridge; This Certifies That, Philipp von Rosen Galerie (2017), After Image, Nottingham Contemporary (2016) and Unsensed, Hatton Gallery, Newcastle (2015).
Her work has been acquired into the Arts Council Collection, Government Art Collection, Nottingham Castle collection, RCA Collection, Saatchi Collection, Zabludowicz Collection, and LWL Museum, Münster.