Markus Huemer
Wir haben jetzt klare Verhältnisse, aber wir wissen nicht welche

June 3 – August 26, 2023

In der Ausstellung Wir haben jetzt klare Verhältnisse, aber wir wissen nicht welche mit Markus Huemer (*1968 in Linz, lebt und arbeitet in Berlin) zeigen wir neue Gemälde in und mit denen er sich mit den Funktionsweisen von und Illusionen über Augmented Reality (AR) auseinandersetzt.

In AR fusionieren interaktive, digitale Bilder mit der Realität, indem digitale Informationen in die reale Welt eingeblendet werden. Einer breiten Bevölkerungsschicht wurde das Phänomen AR mit Pokémon Go bekannt. In diesem Spiel, das auf Smartphones gespielt wird, integriert AR Pokémons (kleine, tierähnliche Figuren) in die reale Umgebung der Spieler:innen und schafft ein immersives Spielerlebnis. Die Software erfasst durch die Kamera die reale Umgebung der Spieler:innen, analysiert die Oberflächen und platziert das Pokémon in Echtzeit an geeigneter Stelle. Dabei wird das Pokémon dreidimensional dargestellt, seine Position und Skalierung werden berechnet und angepasst, und es sieht aus wie ein Teil der realen Umgebung. Auf dem Bildschirm der Spieler:innen erscheint so die Augmented Reality – eine erweiterte Realität, mit dem Medium des Bildschirms dargestellt. Analog dazu verhält es sich mit den verschiedenen Ebenen in Huemers Werken. Gemalte Abbilder der Realität, in diesem Fall die Ausstellungsräume unserer Galerie, überlappen mit digitalen Bildfragmenten.

Huemer integriert in seine Werke, die zunächst einmal Abbilder von Realität sind (in diesem Fall: Galerieräume) – ähnlich, wie das die Software im Spiel Pokémon Go mit den Pokémons in der realen Umgebung der Spieler:innen tut – Fragmente von Bildern. Die gemalten Abbilder der Räume auf der Leinwand kann man mit den Kameraaufnahmen auf dem Bildschirm des Smartphones vergleichen. Schon hierbei handelt es sich allerdings nicht mehr um unsere unmittelbare Realität, selbst ohne die Integration digitaler „Fremdkörper“, sondern nur um eine recht real aussehende, gemalte Realität.
Die Bildfragmente, die Huemer in seine Werken einsetzt, sind weder rein fiktiv, noch rein digital. Er erzeugt sie, indem er seine Umgebung mithilfe einer 3D-Software scannt – bei den Werken dieser Ausstellung handelt es sich um die gescannten Ausstellungsräume unserer Galerie. Er tastet also die Oberflächen der Räumlichkeiten und der sich darin befindenden Gegenstände ab und erstellt digitale, dreidimensionale Modelle. Diese Modelle werden dann malerisch mit den gemalten Abbildern des Raumes verwoben, bzw. als fiktive Objekte in die gemalten Räume integriert. Der Künstler verwendet dabei ganz bewusst, um eine weitere Ebene der Distanzierung einzuziehen, nur Fragmente der gescannten Oberflächen und nicht die vollständigen, motivisch gebundenen Modelle selbst für seine Malereien. Die Fragmente rekurrieren allerdings direkt auf die 3D-Modelle: es sind jene Formen, die bei einem digitalen Scan sichtbar werden, wenn man das gescannte Modell dreht und – digital – durch seine Oberfläche („Haut“) eindringt, bzw. es durchdringt.

In unserer Ausstellung hängen die gemalten Abbilder des Ausstellungsraumes, die von wiederum gemalten Bildern der digitalen Bildfragmente überlagert sind, in dem realen Ausstellungsraum. Als Betrachter:innen werden wir mit ganz verschiedenen Ebenen von Realität und Wahrnehmung konfrontiert und befinden uns dabei in eben genau jener Umgebung, die digitaler und fotografierter und dann gemalter Ursprung der gezeigten Werke ist.

Huemers digitaler Perspektivenwechsel verdeutlicht, dass jedes digitale Abbild lediglich eine Illusion ist. Es erstaunt den Künstler umso mehr, dass diese digitalen Abbilder durch die Fusion mit der Realität in Augmented Reality einen realen Charakter erhalten. Für Pokémon Go-Spieler:innen erscheint die dargestellte Realität auf ihren Smartphones sogar realer und wichtiger als ein direkter Blick in die Umgebung mit den eigenen Augen.

Das Gaukeln, Lügen und Vorspiegeln von Realität war bereits Jahrhunderte vor dem Aufkommen von AR eine Domäne der Malerei, spiegelt sie doch auf einer zweidimensionalen Fläche eine dreidimensionale Realität wieder – wohl wissend, dass es eben das ist: Gaukeln, Lügen und Vorspiegeln. Insofern betrachtet sich Huemer als Experte auf diesem Gebiet der Fiktion. Er hat diesen Aspekt – die Infragestellung der Realität der Abbildung in, bzw. der Abbildungsfunktion von Gemälden – immer schon verfolgt; insofern setzt er seine eigene Maltradition mit den neuen Gemälden fort. Anders allerdings verhält es sich mit den Werktiteln. Während seine Titel früher immer völlig absurd waren (und auf diese Weise die Distanz zwischen dem mit dem Bild Dargestellten [Signifikat] und der Darstellung selbst [Signifikant] unterstrichen haben), haben die Titel jetzt eine direkte Beziehung zur Augmented Reality. Er hat sie Texten entlehnt, die die Qualitäten, Fähigkeiten und Möglichkeiten von Augmented Reality beschreiben. Es gibt also eine Nähebeziehung zwischen dem, was dargestellt ist (etwas, das mit AR erzeugt wurde) und den Titeln, die sich auf AR beziehen. Allerdings sind die Titel keine unkritischen Beschreibungen dessen, was (vermeintlich) zu sehen ist, sondern eher ironische Bezugnahmen auf das Phänomen der AR. In dieser Ironie wiederum besteht ein Zusammenhang mit den früheren Werktiteln des Künstlers.

Mit seinen Werken lädt Huemer dazu ein, sich mit den Grenzen zwischen Realität, Wahrnehmung und Interpretation auseinanderzusetzen. Besucher:innen der Ausstellung finden sich in unseren Räumen und damit in einer ganz bestimmten Ebene von Huemers Arbeiten wieder – der Realität. Indem Huemer die Betrachter:innen in die Realitätsebene seiner Werke einbezieht, weil er die Gemälde den Betrachtenden in genau den Räumen zeigt, die er gemalt hat, schafft er eine Verbindung zwischen den gemalten Abbildern, den digitalen Bildfragmenten und der tatsächlichen Umgebung. Es entsteht eine Interaktion zwischen dem Werk und den Betrachtenden, welche die Frage nach objektiver und subjektiver Realität aufwirft. Selbst wenn Besucher:innen in der Ausstellung die physische Realität unmittelbar erleben, ist ihre Interpretation dieser Realität – wie jede Form der Wahrnehmung – subjektiv.

Huemers Werk kann mit einer Matroschka-Puppe verglichen werden, bei der jede Schicht eine weitere Dimension der Realität offenbar. Ähnlich wie beim Öffnen der ineinander gestapelten Puppen entdecken wir mehr und mehr Dimensionen der Realität.

In the exhibition We Now Have Clarity, But We Don’t Know What with Markus Huemer (*1968 in Linz, lives and works in Berlin) we show new paintings that explore the functionalities of and illusions about Augmented Reality (AR).

In AR, interactive digital images are merged with reality by displaying digital information onto the real world. A broad segment of the population became aware of the AR phenomenon with Pokémon Go. In this game, which is played on smartphones, AR integrates Pokémon (small, animal-like figures) into the player’s real-world environment, creating an immersive gaming experience. The software captures the player’s real-world environment through the camera, analyzes the surfaces, and places the Pokémon in an appropriate location in real-time. The Pokémon is displayed three-dimensionally, its position and scale are calculated and adjusted, and it looks as if it was part of the real environment. Thus, Augmented Reality appears on the player’s screen – an extended reality, displayed through the medium of the screen. The same is true for the different levels in Huemer’s works. Painted images of reality, in this case the exhibition spaces of our gallery, overlap with digital image fragments.

Huemer integrates fragments of images into his works, which are first and foremost images of reality (in this case: gallery rooms) – similar to what the software in the game Pokémon Go does with the Pokémon in the players’ real environment. The painted images of the rooms on the canvas can be compared with the camera recordings on the smartphone screen. However, this is already no longer our immediate reality, even without the integration of digital “foreign bodies”, but only a quite real-looking painted reality.
The image fragments Huemer uses in his works are neither purely fictional nor purely digital. He creates them by scanning his surroundings with the help of 3D software – the works in this exhibition are the scanned exhibition spaces of our gallery. He thus scans the surfaces of the spaces and the objects within them and creates digital, three-dimensional models. These models are then painterly interwoven with the painted images of the space, or integrated into the painted spaces as fictitious objects. The artist deliberately uses only fragments of the scanned surfaces and not the complete, motif-bound models themselves for his paintings, in order to introduce a further level of distancing. The fragments, however, recur directly to the 3D models: they are those forms that become visible in a digital scan when the scanned model is rotated and – digitally – penetrated through its surface (“skin”).

In our exhibition, the painted images of the exhibition space, which are in turn superimposed by painted images of the digital image fragments, hang in the real exhibition space. As viewers, we are confronted with very different levels of reality and perception and find ourselves in precisely that environment, which is the digital and photographed and then painted origin of the works shown.

Huemer’s digital change of perspective makes it clear that every digital image is merely an illusion. It astonishes the artist all the more that these digital images take on a real character through the fusion with reality in augmented reality. For Pokémon Go players, the reality depicted on their smartphones seems even more real and important than a direct look at the surroundings with their own eyes.

Deception, lying, and pretending of reality was already a domain of painting centuries before the emergence of AR, since it mirrors a three-dimensional reality on a two-dimensional surface – knowing full well that this is precisely what it is: deception, lying, and pretending. In this respect, Huemer considers himself an expert in this field of fiction. He has always pursued this aspect – the questioning of the reality of the depiction in, or the depictive function of, paintings; in this respect he continues his own painting tradition with the new paintings. It is different, however, with the titles of the works. Whereas previously his titles were always completely absurd (and in this way underscored the distance between what is represented by the painting [signified] and the material that is forming the representation [signifier]), the titles now have a direct relationship to Augmented Reality. He has borrowed them from texts that describe the qualities, capabilities, and possibilities of augmented reality. So there is a relationship of proximity between what is depicted (something created with AR) and the titles that relate to AR. However, the titles are not uncritical descriptions of what is (supposedly) seen, but rather ironic references to the phenomenon of AR. In this irony, there is in turn a connection with the artist’s earlier titles.

With his paintings, Huemer invites us to question the boundaries between reality, perception and interpretation. Visitors to the exhibition find themselves in our rooms and thus in a very specific level of Huemer’s works – reality. By involving the viewers in the reality level of his works, because he shows the paintings to the viewers in the very same rooms he has painted, Huemer creates a connection between the painted images, the digital image fragments and the actual environment. The result is an interaction between the work and the viewer that raises the question of objective and subjective reality. Even if visitors to the exhibition directly experience physical reality, their interpretation of this reality – like every form of perception – is subjective.

Huemer’s work can be compared to a Matryoshka doll, where each layer reveals another dimension of reality. Similar to the opening of the dolls stacked inside each other, we discover more and more dimensions of reality.