
Nic Hess
Scheinriese
April 5 – June 21, 2025
Wir freuen uns mit Scheinriese, unsere nun siebte Einzelausstellung mit Nic Hess (*1968, lebt in Zürich) zu zeigen. Neben Collagen aus Passepartoutkarton, die von weitem flach und gemalt wirken, aber bei näherer Betrachtung reliefartige Schichtungen offenbaren, werden auch raumgreifende Klebeband-Installationen zu sehen sein, die mit den Wandarbeiten in einen Dialog treten.
Mit einem Leuchtkasten mit der Aufschrift „Nic Hess, lives and works in Zurich“ stellt sich der Künstler im Eingang seinem Publikum vor. Die standardisierte Formulierung ist uns aus Pressetexten bekannt. Mit der Arbeit thematisiert Hess selbstironisch die Mechanismen der Kunstszene, in der Künstler*innenidentitäten oft über und auf Eckdaten reduziert werden. Neben dem Leuchtkasten begegnen wir mit der Arbeit Swiss Tourism Hess‘ neuer, reliefartiger Collage-Technik. Organische, bunte Formen, die durch Aussparungen auf verschiedenen Ebenen entstehen, erzeugen eine räumliche Tiefe. Zwischen der abstrakten Komposition tauchen Ausschnitte von Illustrationen auf. Sie zeigen Menschen bei klassischen Schweizer Tourismussportarten und sind eingebunden in die typischen, dynamischen Klebeband-Linien des Künstlers.
Mit den neuen Arbeiten vollzieht Hess einen bemerkenswerten Wandel in seiner Praxis. Bisher ließ er sich bei der Komposition seiner Collagen maßgeblich von Papiermaterial leiten, dass er meist in Kunst- und Architekturmagazinen findet. Nun werden kompositorische Formen nicht mehr hauptsächlich durch vorgefundenes Material diktiert, sondern von ihm selbst bestimmt. Hess „malt“ mit Passepartoutkarton, Schaumstoffplatten, bedruckten Folien und Papieren sowie Klebebändern – Materialien, die er aus ihrem ursprünglichen anwendungsbezogenen Kontext löst und in neue Bedeutungszusammenhänge und Bilder überführt.
Die Doppeldeutigkeit seiner Werke zeigt sich nicht nur in der Technik, sondern auch in den Inhalten, die mit Ironie und politischer Reflektion spielen. Der Ausstellungstitel Scheinriese bezieht sich auf die gleichnamige Figur aus Michael Endes Jim Knopf, die umso größer scheint, je weiter entfernt sie ist – und beim Näherkommen an Größe verliert. Metaphorisch verweist der Titel auf Nic Hess‘ Auseinandersetzung damit, wie sich Wahrnehmung, Macht und Illusionen in Kunst und Politik manifestieren – ein Leitgedanke der sich durch die Ausstellung zieht.
Der Titel der Collage Adieu und Farewell, CS! im ersten Ausstellungsraum verweist auf den Untergang der Schweizer Großbank Credit Suisse. Farben und Formen greifen das Logo der Bank auf, das Motiv – ein Segelschiff – bleibt jedoch zunächst verborgen: Die vierteilige Collage ist absichtlich „falsch“ zusammengesetzt. Die Komposition ist inspiriert von dem chinesischen Legespiel Tangram und deutet auf wirtschaftliche Konstruktionen hin, die bei fehlerhaftem Zusammenspiel aus dem Gleichgewicht geraten. In der Ausstellung ist die Arbeit eingebettet in eine Klebeband-Installation, die das Spiel mit Linienkombinationen aufgreift und im Raum fortsetzt.
Mit dem 500 Milliarden-Ei – einem Straußenei, beklebt mit Tapes und einer Zahl – spielt Hess auf das von Friedrich Merz vorgeschlagene 500-Milliarden-Euro-Finanzpaket an. Der Titel ist irreführend, da auf dem Ei „nur“ die Zahl von 500 Millionen steht. Der subtile Fehler, der kaum jemandem auffallen mag, macht die absurde Größenordnung dieser versprochenen Finanzmaßname deutlich, welche für uns im Konkreten schwer greifbar erscheint.
Nic Hess bewegt sich in seinen Arbeiten zwischen narrativen, symbolischen und rein kompositorischen Referenzen. So lässt sich in der Collage Unfriendly Fight eine Szene von Unterdrückung erkennen – eine Figur kniet am Boden, während eine andere auf ihren Oberkörper tritt. Der Umriss eines Elefanten, Symbol der US-Republikaner, legt eine mögliche Lesart im Kontext amerikanischer Politik nahe. In anderen Arbeiten, wie Oriental Storm, arbeitet Hess zwar ebenfalls mit lesbaren Symbolen – hier mit einer Skyline und Wasserwellen, die ein Stadt- oder Landschaftsbild erzeugen –, doch liegt der Fokus mehr auf der Komposition und der Materialität der Arbeit. In einigen der neuen Collagen treibt Hess die Überlagerung von Ebenen und die räumliche Tiefe so weit, dass sie teilweise sogar aus dem Rahmen heraustreten.
Im zweiten Raum der Ausstellung zeigen wir eine Reihe von 12 Collagen, die aus Seiten eines Rembrandt-Werkkatalogs zusammengestellt wurden. Hess kombiniert verschiedene Porträts von Rembrandt, indem er mehrere Seiten, die im Katalog direkt aufeinander folgen, schichtet. Durch Aussparungen in den vorderen Seiten kommen die dahinterliegenden Bilder zum Vorschein. Hess verfremdet so die Originalporträts, und es entstehen kubistisch-anmutende Darstellungen sowie neue Persönlichkeiten. Auf dem Kunstmarkt werden Rembrandt-Werke mit höchsten Werten und dem Status größter Rarität gehandelt. Im Gegensatz dazu geht Hess mit diesen Arbeiten leichtsinnig und ironisch um und gibt spielerisch einen Anstoß dazu, nachzudenken, wie im Kunstmarkt mit Kunst, Originalität und Wert umgegangen wird.
Auf der Stirnwand des Raumes zeichnen Klebebänder das Bild eines riesigen Schuhs, der von einem kleinen Kind geschnürt wird – der Schnursenkel setzt sich als Linie fort. Die schwarz-rote Klebeband-Installation zieht sich dann spielerisch um die Collagen herum, verbindet so die Werke über alle vier Wände hinweg und schafft ein visuelles Netz, das den Raum neu strukturiert und rhythmisiert. Kleine Details auf bedruckter Folie – wie ein Frosch, der über eine Raumecke zu einer Fliege direkt unter der Decke blickt – verleihen der Installation narrative Elemente und animieren Besucher*innen sich aktiv zu bewegen und mit der Installation und ihren Details auseinanderzusetzen.
Direkte Bezüge zu Künstler*innen und ihren Kunstwerken sind in Hess‘ Arbeiten immer wieder zu erkennen. So reproduziert er Bridget Riley’s Zeichnung Movement in Squares fast identisch, indem er es in seiner charakteristischen Klebebandtechnik neu erschafft. In Halb Klimt Halb Wesley, zu sehen im dritten und letzten Raum der Ausstellung, übernimmt er Formen und Konturen aus John Wesleys Klimt Nude in seiner Collagentechnik und kommentiert die Darstellung mit Zeichen und Symbolen. So legt er zum Beispiel eine Gitterform direkt über den Intimbereich der weiblichen Darstellung. Durch Hess‘ Reproduktion und Neuinterpretation von vergangenen Kunstwerken, wird die Möglichkeit eröffnet, gesellschaftliche Prozesse oder Themen in einem neuen Kontext zu betrachten. Es geht dabei nicht immer um Kritik, sondern oft auch um Wertschätzung und Inspiration.
Im letzten Raum löst die Arbeit Adieu CS! – eine einteilige Variation der vierteiligen Collage Adieu and Farewell, CS! aus dem ersten Raum – das Spiel um die Zusammensetzung der Collage auf. Der narrative Moment, welcher in Hess‘ Collagen sowie Klebeband-Installationen immer wieder vorkommt, wird so kuratorisch aufgegriffen und markiert mit dem Abschluss der Erzählung das Ende der Ausstellung.
We are pleased to show Scheinriese, our seventh solo exhibition with Nic Hess (*1968, lives in Zurich). In addition to collages made of passe-partout cardboard, which appear flat and painted from a distance but reveal relief-like layers on closer inspection, there will also be expansive tape installations on display that enter into a dialog with the wall works.
The artist introduces himself to his audience at the entrance with a light box bearing the inscription “Nic Hess, lives and works in Zurich”. We are familiar with this standardized formulation from press releases. With this work, Hess self-ironically addresses the mechanisms of the art scene, in which artists‘ identities are often reduced to key data. In addition to the light box, we encounter Hess‘ new, relief-like collage technique in the work Swiss Tourism. Organic, colorful forms created by cut-outs on different levels create a spatial depth. Cut-outs of illustrations appear between the abstract composition. They show people taking part in classic Swiss tourist sports and are integrated into the artist‘s typical dynamic lines of tape.
With these new works, Hess has undergone a remarkable change in his practice. Previously, the compositions of his collages were mainly guided by the paper material, which he usually finds in art and architecture magazines. Now, compositional forms are no longer primarily dictated by found material, but determined by himself. Hess “paints” with passe-partout cardboard, foam sheets, printed foils and papers as well as adhesive tapes – materials that he removes from their original function and transfers into new contexts of meaning and images.
The ambiguity of his works is not only evident in the technique, but also in the content, that plays with irony and political reflection. The exhibition title Scheinriese (mock giant) refers to a character of the same name from Michael Ende‘s Jim Knopf, who seems bigger the further away he is – and loses size the closer one gets. Metaphorically, the title refers to Nic Hess‘ examination of how perception, power and illusions manifest themselves in art and politics – a central theme that runs through the exhibition.
The title of the collage Adieu and Farewell, CS! in the first exhibition room refers to the demise of the major Swiss bank Credit Suisse. Colors and shapes pick up on the bank‘s logo, but the motif – a sail ship – remains hidden at first: the four-part collage is deliberately put together “incorrectly”. The composition is inspired by the Chinese puzzle game Tangram and alludes to economic constructions that become unbalanced if they are not put together correctly. In the exhibition, the work is embedded in a tape installation that takes up the game with line combinations and continues it in the room.
With the 500 Milliarden-Ei (500 Billion-Egg) – ostrich egg covered with tape and a number – Hess alludes to the 500 billion euro financial package proposed by Friedrich Merz. The title is misleading, as the egg “only” has the figure of 500 million on it. The subtle mistake, which hardly anyone might notice, highlights the absurd scale of this promised financial measure, which seems difficult for us to grasp in concrete terms.
In his works, Nic Hess moves between narrative, symbolic and purely compositional references. In the collage Unfriendly Fight, for example, a scene of oppression can be recognized – one figure kneels on the ground while another steps on its upper body. The outline of an elephant, symbol of the US Republicans, suggests a possible reading in the context of American politics. In other works, such as Oriental Storm, Hess also works with legible symbols – with a skyline and water waves that create an image of a city or landscape – but the focus is more on the composition and materiality of the work. In some of the new collages, Hess pushes the superimposition of layers and spatial depth so far that they sometimes even step out of the frame.
In the second room of the exhibition, we are showing a series of 12 collages assembled from pages of a Rembrandt work catalog. Hess combines various portraits by Rembrandt by layering several pages that directly follow onto each other in the catalog. Cut-outs in the front pages reveal the pictures behind them. Hess thus distorts the original portraits, creating cubist-like depictions and new personalities. On the art market, Rembrandt works are traded at the highest values and have a status of great rarity. In contrast, Hess treats these works carelessly and ironically while playfully encouraging us to reflect on how art, originality and value are dealt with on the art market.
On the head wall of the room, tapes draw the image of a giant shoe being laced up by a small child – lace continues as a line. The black and red tape installation then playfully wraps around the collages, connecting the works across all four walls and creating a visual network that restructures and rhythmatizes the space. Small details on printed foil – such as a frog looking over a corner of the room to a fly directly under the ceiling – add narrative elements to the installation and encourage visitors to actively move around and engage with the installation and its details.
Direct references to artists and their artworks can be seen again and again in Hess‘ works. For example, he reproduces Bridget Riley‘s drawing Movement in Squares almost identically by using his characteristic tape technique to recreate it. In Half Klimt Half Wesley, to be seen in the third and final room of the exhibition, he adopts forms and contours from John Wesley‘s Klimt Nude using his collage technique and comments on the depiction with signs and symbols. For example, he places a grid form directly over the intimate area of the female depiction. Hess‘ reproduction and reinterpretation of past works of art open up the possibility of viewing social processes or themes in a new context. However, it is not always about criticism, but often also about appreciation and inspiration.
In the last room, the work Adieu CS! – a one-part variation of the four-part collage Adieu and Farewell, CS! from the first room – unravels the play on the composition of the collage. The narrative moment, which repeatedly appears in Hess‘ collages and tape installations, is thus taken up curatorially and marks the end of the exhibition with the conclusion of the plot.