Silke Albrecht
track bound
November 13, 2021 – January 15, 2022
Wir freuen uns sehr über unsere zweite Einzelausstellung mit Werken der in Düsseldorf lebenden Künstlerin Silke Albrecht (*1986 in Soest). Albrecht, die zunächst von 2006 bis 2010 in Münster an der Akademie bei Michael van Ofen Malerei studiert hatte, hat 2015 in Düsseldorf an der Akademie als Schülerin Andreas Gurskys ihren Abschluss gemacht. Auch bei Gursky hat sich Albrecht mit Malerei befasst, das Medium aber bereits viel weiter gefasst. „Weiter fassen“ ist auch das Stichwort, das in unser Ausstellung track bound interessiert. Denn in den neuen Werken dominieren Prozesse und Materialien. Es sind nicht vor allem Abbildungen oder Projektionen von Gedanken auf die Leinwand, die die Künstlerin beschäftigen.
Entsprechend hat Albrecht bei den Arbeiten, die unter dem Obertitel Kontakt zusammengefasst werden, nicht vordringlich das eine (Farbmaterial) auf das andere (Malgrund) aufgetragen. Vielmehr beginnen die Prozesse schon damit, dass Bahnen („tracks“) verschiedener und vor allem auch verschiedenfarbiger Stoffe (Baumwolle und Leinen) zusammengenäht werden. Schon jetzt trifft Albrecht also eine kompositorische Entscheidung und schafft eher ein (relativ) flaches Objekt, das nach weiterer Bearbeitung an die Wand gehängt werden kann, als einen Malgrund. Mit diesem Objekt arbeitet Albrecht prozess- und objekthaft weiter: Lacke unterschiedlichster Art (Klarlack, vermischt mit dem harzig-gelben Schellack, weißer und schwarzer Lack) werden auf die liegende Fläche gegossen und geschüttet, Ölfarbe wird verrieben, versprüht und (sicher auch gelegentlich mit dem Pinsel) vermalt, Streckmetalle – also: gekaufte Metallbleche in die vom Hersteller in regelmäßigen Abständen Schnitte gesetzt und die dann gestreckt wurden, so dass gitterförmige Strukturen entstanden – werden durch die eingesetzten Lacke mit den zusammengenähten Stoffen verbunden, im Grunde verklebt. Die Feuchtigkeit der Lacke setzt zusammen mit dem Metall der Streckmetalle Rostprozesse frei, welche für Albrecht nicht wirklich kontrollierbar sind, die sie jedoch als malerische Mittel einsetzt.
Das alles sind Prozesse die jeweils im Hier und Jetzt des Schaffens existieren und als solche fixiert sind. Es sind chemische Prozesse, die weniger die Wunderkräfte der Alchemie beschwören, als sichtbares Zeugnis der prozessualen und auch körperlichen Aktionen der Künstlerin sind. Und gegen, so lässt es sich beschreiben, diese Prozesse setzt Albrecht gelegentlich mehr oder minder große, scheinbar gezeichnete Bilder, zum Beispiel von ihrem Torso (Kontakt [10]) oder von sich und ihrem Freund im Moment eines innigen Kusses (Kontakt [dissoziiertes Material] [7]). „Scheinbar“ gezeichnet deshalb, weil diese ganz persönlichen Bilder gestickt sind und nicht wirklich gezeichnet. Sie entstehen also in einem entschleunigten Prozess, denn sticken braucht viel Zeit und entsprechend präzise Vorarbeit. Dem materiallastigen Arbeiten auf der großen Fläche, das die „tracks“, inhaltliche wie kompositorische Vorgaben überwindet, also gerade nicht mehr „track bound“ ist, setzt Albrecht die kleinteiligere und verlangsamte, aus ihrem eigenen Leben erzählende Form entgegen. Das ist ein souveräner Akt, der Gattungsgrenzen und Kategorien („abstrakte Malerei“ vs. „figurative Malerei“) überwindet und den Kontakt zum eigenen, körperlichen Selbst mit der Erzählung von dem verbindet, was sie in den Zeiten, in denen sie gezwungen war, ihr Leben auf sich selbst und ihren engsten Umkreis zu konzentrieren, beschäftigte.
Für die andere Werkgruppe aus der Ausstellung, die sie unter dem Obertitel traces zusammengefasst hat, hat Albrecht die verschiedenen Malgrundmaterialien lediglich aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, Diptychen und Triptychen geschaffen. Hier sind es ganz individuelle, zarte Spuren, die sie auf den Flächen hinterlässt, Spuren, die die Malerei vom Abbildungsregime befreien und – wieder – eine Einheit von Farbe und Objekt herstellen. Im Grunde entstehen dabei verschiedene Bilder von Licht: auf der einen Seite die metallischen Oberflächen (Kupfer und Messing), die – kaum mit graphischen Lackspuren bearbeitet – das im Raum gegebene Licht tatsächlich reflektieren. Auf der anderen Seite können wir durch Glas gebrochene (und dadurch in ihrem farblichem Spektrum sichtbar gewordene) Lichtstrahlen assoziieren, die allerdings nicht als solche auf eine Fläche gemalt sind, sondern von den roten und gelben Pigmenten, die in die dicke, weiße Ölfarbschicht flächig-wolkig einge(t)rieben, regelrecht verkörpert werden. Schließlich gibt es die in Lack und Schellack geschaffenen, reliefartigen „Darstellungen“ von Licht, wie es in einem Ofen mit brennender Materie entsteht.
Ganz neu im Œuvre Silke Albrechts sind die Tuschezeichnungen, die uns einen sehr emotionalen, persönlichen Einblick in ihr Leben in 2021, erlauben. Die Überwindung von Bahnen, Handlungsmustern, die durch ihr privates Leben vor Corona, Konventionen, Prägungen und Zweifel und nicht zuletzt auch durch die gesetzlichen, pandemie-bedingten Vorgaben geprägt waren, werden hier in prägnante Bilder gegossen. Mit der Schreibmaschine getippte Gedanken oder Sätze („nichts ist wiederholbar“ / „ich versuche die spur zu verlassen, aber ich kann einfach nicht“) erweitern den Assoziationsraum.
Philipp von Rosen, November 2021
We are very pleased about our second solo exhibition with works by the Düsseldorf-based artist Silke Albrecht (*1986 in Soest). Albrecht, who first studied painting with Michael van Ofen at the Academy in Münster from 2006 to 2010, graduated from the Academy in Düsseldorf in 2015 as a student of Andreas Gursky. Even in Gursky‘s class Albrecht studied painting, but already had a much broader concept of the medium. „Broader“ is also the keyword that interests in our exhibition track bound. For in the new works, processes and materials dominate. It is not primarily images or projections of thoughts onto the canvas that are of concern to the artist.
Accordingly, Albrecht did not primarily apply the one (color material) to the other (painting ground) in the works that are summarized under the heading Contact. Rather, the processes already begin with sewing together sheets („tracks“) of different and, above all, differently colored fabrics (cotton and linen). Already now Albrecht makes a compositional decision and creates a (relatively) flat object that can be hung on the wall after further treatment, rather than a painting surface. With this object Albrecht continues to work in a process- and object-like manner: lacquers of various kinds (clear lacquer, mixed with the resinous-yellow shellac, white and black lacquer) are poured and cast onto the lying surface; oil paint is rubbed, sprayed, painted (certainly also occasionally with a brush); stretched metals – that is: purchased metal sheets in which the manufacturer has made cuts at regular intervals and which have then been stretched so that grid-like structures have been created – are connected, basically glued on to the sewn-together materials by the poured lacquers. The moisture of the lacquers, together with the metal of the expanded metals, unleashes rusting processes that Albrecht cannot really control, but which she uses as a painterly means.
These are all processes that exist in each case in the here and now of creation and are fixated as such. They are chemical processes that do not so much invoke the miraculous powers of alchemy as bear visible witness to the artist‘s processual and also physical actions. And against, so it can be described, these processes Albrecht occasionally sets more or less large, seemingly drawn images, for example of her torso (Contact [10]) or of herself and her boyfriend in the moment of an intimate kiss (Contact [dissociated material] [7]). „Seemingly“ drawn because these very personal images are stitched and not really drawn. They are therefore created in a decelerated process, because stitching takes a lot of time and correspondingly precise preparatory work. Albrecht contrasts the material-heavy work on the large surface, which overcomes the „tracks“, content-related and compositional guidelines, and thus is no longer „track bound“, with the smaller and slower form that tells of her own life. This is a sovereign act that transcends genre boundaries and categories („abstract painting“ vs. „figurative painting“) and relates the contact with her own, physical self with the narrative of what concerned her during the times when she was forced to focus her life on herself and her closest circle.
For the other group of works from the exhibition, which she has subsumed under the title traces, Albrecht has merely assembled various painting ground materials from different elements, creating diptychs and trip-tychs. Here it is quite individual, delicate traces that she leaves on the surfaces, traces that liberate painting from the regime of depiction and – again – create a unity of color and object. Basically, different images of light emerge: on the one hand, the metallic surfaces (copper and brass), which – barely treated with graphic traces of lacquer – actually reflect the light given in a space. On the other hand, we can associate rays of light refracted through glass (and thus made visible in their color spectrum), which, however, are not painted as such on a surface, but are literally embodied by the red and yellow pigments that are rubbed into the thick, white layer of oil paint in a flat, cloudy manner. Finally there are the „representations“ of light as it is created in a furnace with burning matter, executed in lacquer and shellac, applied in a relief-like manner.
Quite new in the œuvre of Silke Albrecht are the ink drawings that allow us a very emotional, personal insight into her life in 2021. The overcoming of tracks, patterns of action, which were shaped by her private life before Corona, by conventions, imprints and doubts and not least also by the legal, pandemic-related requirements, are cast here in concise images. Typewritten thoughts or sentences („nothing is repeatable“ / „I try to leave the track, but I just can‘t“) expand the associative space.
Philipp von Rosen, November 2021