Koen van den Broek
Tango in Paris

January 22 – March 26, 2022

Wie schon in seinen früheren Ausstellungen basieren auch die Gemälde aus Koen van den Broeks Ausstellung Tango in Paris auf Fotografien, die der Künstler selbst aufgenommen hat. Ihm ist dieser Aspekt, dass er sich nicht Bildvorlagen dritter Personen bedient (und auf diese Weise einen Teil der kompositorischen Bildentstehung an eine dritte Person delegiert) und auch nicht Inhalte dritter Personen in sein Werk einbezieht, wichtig. Mit der Verwendung der eigenen Bilder komponiert van den Broek – auf formaler Ebene – die Bilder so, wie er sie haben will. Im Atelier werden aus einer Vielzahl an Fotografien diejenigen Bilder ausgewählt, die ihm für ein Gemälde geeignet erscheinen. Inhaltlich, so kann man es beschreiben, markiert er auf der Weltkarte die Orte an denen er sich aufgehalten hat, schafft ein visuelles Tagebuch. Bemerkenswert ist außerdem, dass der Prozess der Bildentstehung durch die Verwendung der eigenen Fotografien, die kaum verändert, allenfalls etwas abstrahiert, in die Gemälde übertragen werden, extrem ausgedehnt wird: Die Kunstwerke entstehen nicht allein und erst im Atelier, sondern schon unterwegs, auf seinen Reisen und im Kopf.

Wie der Ausstellungstitel vermuten lässt, liegen einigen der Gemälde aus Tango in Paris Fotografien zu Grunde, die in Paris entstanden sind. Die Reise dorthin in 2021 war nach den Monaten des Lockdowns die erste von Koen van den Broek unternommene Reise. Sie führte ihn nicht in die USamerikanischen Wüsten oder Großstädte im Westen der USA, wohin er in früheren Jahren immer gefahren war, sondern an einen anderen Sehnsuchtsort, der auch schon zuvor in seinem Œuvre eine Rolle gespielt hat.


Paris ist aber nicht nur ein Sehnsuchtsort, sondern auch der Ort der Erfindung des ersten kommerziell nutzbaren Fotografie-Verfahrens. Es war maßgeblich von Louis Daguerre entwickelt worden. Genaugenommen bediente er sich einer Camera Obscura und belichtete für seine – von ihm dann so genannten – Daguerreotypien einen Bildträger, der das auf die Rückseite der Lochkamera projizierte Bild festhielt und damit verewigte. Diesen kurzen Exkurs in die Technikgeschichte der Fotografie erlaube ich mir deshalb, weil die Gemälde Koen van den Broeks, die er nach Fotografien von Bildern, die sich in Pfützen in Paris spiegelten, in zweierlei Hinsicht damit in Verbindung stehend gesehen werden können:

Zum einen stehen Bilder, die auf der Rückwand einer Camera Obscura zu sehen sind, immer auf dem Kopf. Das tun die „Darstellungen“ nach den Spiegelungen in der Wasseroberfläche der Pfützen van den Broeks auch, als wären es Bilder einer solchen Lochkamera. Zum anderen sind die Bilder in einer Camera Obscura Momentaufnahmen eines ganz bestimmten Augenblicks. Wie wiederum die Bilder, die wir in Pfützen gespiegelt sehen. Der ganz präzise Ort, Winkel zur Pfütze, und Zeitpunkt, liefert uns ein ganz bestimmtes Bild. Bei jeder zeitlichen und räumlichen Verschiebung verändert es sich. Und erst durch die Belichtung einer lichtempfindlichen Oberfläche konnte die Fotografie die ihr zugesprochene Indexfunktion erlangen, erst mit der Bewahrung des Bildes lässt sich die Spur der Wirklichkeit ablesen. Auf diese Vergänglichkeit des ursprünglichen, quasi-fotografischen Bildes spielt van den Broek mit seinen Gemälden an, nicht zuletzt auch damit, dass solche abgebildeten Objekte, die gerade Kanten haben (wie zum Beispiel ein Laternenpfahl), wellig gemalt sind und damit die Bewegung der Wasseroberfläche in das (Ab-)bild der Wirklichkeit integrieren.

Noch ein anderer technischer Aspekt der Fotografie spielt in unser Ausstellung Tango in Paris eine Rolle: die beiden Gemälde On und Off zeigen denselben verrotteten Laster in der Wüste, und zwar in einem Moment kurz vor dem Sonnenuntergang. Für die beiden Bilder hat van den Broek sich nicht bewegt, sie sind vielmehr von genau der gleichen Stelle kurz nacheinander entstanden. Der Unterschied zwischen den beiden fotografischen Vorlagen ist allerdings, dass das eine Foto ohne, das andere mit Blitz entstanden ist. Den Blitz haben wir ja nicht in uns eingebaut und können ihn auch mit unserem menschlichen Auge, unseren biologischen Gegebenheiten, nicht imitieren. Wir brauchen für ihn also die technischen Hilfsmittel. Er führt zu einem völlig anderen Bild, zu völlig unterschiedlichen Dingen, die sich für unser Auge in den Vordergrund schieben. Die Abhängigkeit unseres Sehens, die technische Bedingtheit unserer Bilder führt uns van den Broek auf diese Weise vor Augen.
Während die Gemälde nach den Spiegelungen in Paris scheinbar abstrakte Kompositionen sind, sind die Gemälde nach den Aufnahmen von den Lastwagen scheinbar figurativer, narrativer. Es bleibt aber festzuhalten, dass der Grad der Abbildung von Wirklichkeit in beiden Gruppen gleich ist. Bei den Spiegelungen aus Paris führt van den Broek nur eine weitere Ebene ein, nämlich die Spiegelung von Wirklichkeit in der Wirklichkeit.

Philipp von Rosen, Januar 2022

As in his previous exhibitions, the paintings in Koen van den Broek‘s exhibition Tango in Paris are based on photographs taken by the artist himself. This aspect, that he does not use images taken by third persons (and in this way does not delegate a part of the compositional image creation) and, also, that he does not include contents of third persons in his work, is important to him. By using his own images, van den Broek composes – on a formal level – the pictures the way he wants them to be. In the studio, from a large number of photographs, those images are selected that seem to him most suitable for a painting. In terms of content he marks on the world map the places where he has been, creates a visual diary. It is also noteworthy that the process of image creation is extremely extended by the use of the artist‘s own photographs, which are hardly changed, at most somewhat abstracted, and transferred into the paintings: The artworks are not created alone and only in the studio, but already on the road, on his travels and in his head.

As the exhibition title suggests, some of the paintings from Tango in Paris are based on photographs taken in Paris. The trip there in 2021 was Koen van den Broek‘s first after the months of lockdown. It did not take him to the U.S. deserts or major cities in the western U.S., where he had always gone in earlier years, but to another place of longing that had also played a role in his œuvre before.

Paris is not only a place of longing, however, but also the place where the first commercially viable photographic process was invented. It was substantially developed by Louis Daguerre. Technically speaking, he used a camera obscura and exposed an image carrier for his photographs – which he then called daguerreotypes – that captured the image projected onto the back of the pinhole camera, immortalizing it. This brief excursion into the technical history of photography may be permitted, because Koen van den Broek‘s paintings, which he created after photographing images reflected in puddles in Paris, can be seen as related to it in two respects:

For one thing, images that can be seen on the back wall of a camera obscura are always upside down. And this is what the reflected images on the surface of the water of van den Broek‘s painted puddles are too, as if they were images from such a pinhole camera. On the other hand, the images in a camera obscura are snapshots of a very specific moment. Like, again, the images we see reflected in puddles. The very precise location, angle to the puddle, and moment in time, provides us with a very specific image. With each temporal and spatial shift, it changes. Only through the exposure of a light-sensitive surface could photography acquire the index function attributed to it; only with the preservation of the image can the trace of reality be read. With his paintings van den Broek alludes to this transience of the original, quasi-photographic image, not least in that such depicted objects, that have straight edges (such as a lamppost), are painted wavy, thus integrating the movement of the water surface into the image of reality.

Yet another technical aspect of photography plays a role in our exhibition Tango in Paris: the two paintings On and Off show the same rotten truck in the desert, at a moment just before sunset. van den Broek did not move for the two images; rather, they were taken from exactly the same spot shortly one after the other. The difference between the two photographic originals, however, is that one photo was taken without flash, the other with it. The flash, which we do not have built into us and cannot imitate with our human eye, our human, biological conditions, but only in the technical aids that we may carry with us, leads to a completely different image, to completely different things that come to the fore for our eye. The dependence of our seeing, the technical conditionality of our images, van den Broek shows us in this way.

While the paintings after the reflections in Paris are seemingly abstract compositions, the paintings after the shots of the trucks are seemingly more figurative, more narrative. It remains to be noted, however, that the degree of depiction of reality is the same in both groups. In the reflections from Paris, van den Broek introduces only one more level, the reflection of reality in reality.


Philipp von Rosen, January 2022

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